Einmal quer rüber - Teil 1
Ich kann nicht glauben, dass die Saison
vorüber sein soll. Jeden Tag verlässt mindestens ein Boot die
Marina. An meinem Steg wird es zunehmend leerer. Bald werde ich ganz
allein hier liegen. Dabei will ich raus, will segeln, den Herbst
spüren, die Farben auf See und an Land sehen. Immer wieder schaue
ich auf meine Wetterapps. Wenn nicht jetzt, wann dann?
Bereits seit einer knappen Woche war
ich nicht mehr bei meiner AKUA. Und nun möchte mein Seemann mit mir
Sonntagssegeln gehen. Als kleiner Abschied, denn tags drauf werde ich
meine Einhandherbstsegelreise starten. Eine prima Einstimmung also.
Ich verproviantiere mich, säubere mein Schiff und schon kann es
losgehen. Ein paar Schläge auf dem Haff bekommen wir zusammen, dann
wirkte die Wolkenwand immer bedrohlicher. Wir entscheiden uns auf
Kaffee und Kuchen die Uecker hochzufahren. Noch einmal seitlich Anlegen üben, bevor ich dann auf mich ganz allein gestellt sein
werde. Und natürlich muss es auch gerade dann in Strömen regnen.
Dennoch, alles klappt, meine Anlegemanövertechnik haut hin und wenige Minuten später sitzen wir im Cafe Reichau an der Ueckerbrücke, wo wir uns einst zum ersten mal verabredeten. Bald ist es zwei Jahre her.
Die Fahrt zurück in die Lagunenstadt werden
wir mit einer schönen Herbststimmung belohnt. Nun heißt es
Abschiednehmen. Mein Seemann verlässt mich, ich bleibe die Nacht auf
meiner AKUA. So handhabe ich es gern, gehe ich auf einen längeren
Törn. Mir fällt dann der Start am nächsten Tag leichter.
Auf die polnische Haffseite möchte
ich. Dort war ich noch nicht, auch nicht mit meinem Seemann. Das erste Mal, dass ich gänzlich neues Revier befahre, das erste Mal mit
meiner Dehler 28 eine Woche allein unterwegs, das erste Mal, dass ich auf
meinem Boot eine Gastlandflagge hisse. Dieser Moment fühlt sich
unbeschreiblich an. Eine Mischung aus Aufregung, Abenteuerlust und
Neugier begleiten mich.
Erster Stopp wird Nowe Warpno (Neuwarp) sein, auf der kleinen polnischen Halbinsel gegenüber von Altwarp, der
deutschen Seite. Einst pendelte eine Fähre zwischen den Staaten. Der
Anleger wurde vor einiger Zeit rückgebaut. Nur noch die kleine Lütt
Matten fährt regelmäßig die Touristen von einer Seite zur anderen. Mit seitlich achterlichen Westwind schob es mich mit teilweise satten
6knt übers deutsche Haff bis zur Fahrrinne. Flachwasser und Reusen
lassen mich besonders weit ausholen, bevor ich den Kurs mit einer Halse
auf Südost später Südwest ändere. Ständiger Begleiter sind der blaue Himmel und die Oktobersonne.
Auf Höhe von Altwarp kommt mir ein fettes Baggerschiff entgegen. Hier ist die Fahrrinne
besonders schmal. Zusätzlich verlor der Wind seine Kraft. Es nützt
nichts, um manövrierfähig zu bleiben, muss ich die Segel einholen
und am Baggerschiff vorbei motoren. Nun ist es nicht mehr weit bis
zum Anleger in Neuwarp, ca. 1,2 Meilen. Schon weit voraus bereite
ich meine AKUA fürs Anlegen vor. Fender an Deck, Führleine vom Bug
zurecht gelegt und auch den Festmacher Achtern. Kein einziges Boot
ist am Kai zu sehen und auch kein Verbotsschild. Ich habe mindestens
50m Anlegefläche für mich ganz allein und Wind seitlich achtern.
Ich werde quasi an den Anleger geschoben. Nur noch Fender und Festmacher
überwerfen und mit der Führleine an Land springen und den Bug
sichern. Das war's. Ich bin da! Ich bin in Polen!
Alle Anspannung
fällt von mir. Ich mache mich sogleich auf dem Weg zum Hafenmeister.
Ich vermute, dass ich mich umlegen soll. Er empfiehlt es mir auch,
denn dort wo ich liege, sei nicht der Yachtclub, weder hätte ich
Duschen noch Strom, doch ich könne da auch bleiben. Bei der Frage
nach den Hafengebühren winkt er ab. Nicht sein Revier, das kostet nix.
Polen! Mein Herz schlägt. Nun bin ich schon um die halbe Welt mitgesegelt, Ostsee, Nordsee, Mittelmeer, bis Brasilien über den Atlantik, doch ein solches Gefühl
suchte ich vergeblich. Dieses Gefühl wird mich über meine gesamte
Reise begleiten...
Am Abend besucht mich überraschend
mein Seemann mit einer gemeinsamen Freundin. Ich freue mich
wahnsinnig. Mir kommt es bereits jetzt schon so vor, als sei ich eine
Woche unterwegs gewesen und nun begegnen wir uns endlich wieder.
Dementsprechend groß fiel die Umarmung aus. Ich spüre, wie stolz
mein Seemann auf mich ist. Noch im August beim Kranen traute ich
mich nicht, meine AKUA in die Lagunenstadt zu steuer und auf meinem
Liegeplatz anzulegen. Und nun habe ich mich ganz allein nach Polen
gewagt... Im einzigen geöffneten Lokal von Neuwarp essen wir zu Abend, dann
falle ich müde in meine Koje. Morgen werde ich nach Wolin
aufbrechen...
...einmal quer rüber übers polnische Haff!
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