Einmal quer rüber - Teil 3

mein Ziel: Wapnica

Als ich in Wolin ablege, hört es auf zu regnen. Laut den Wetterprognosen solle es am Morgen sonnig sein. Nun, die Sonne zeigt sich zunächst  nur spärlich. Dicke Regenwolken breiten sich am Himmel aus. Ein bisschen bedrohlich wirkt es hin und wieder, besonders dann, wenn ich erneut auf dem offenen Haff bin. 


Ich entscheide mich fürs erste Reff. Gegenan pfeift der Wind ganz ordentlich und ich brauche gerade keine Aufregung, denn so ganz traue ich meinem Gesundheitszustand noch nicht. Trotz Reff komme ich in der Spitze über die 5 kn ohne das Gefühl zu bekommen, es ginge auf der AKUA heiß her. Ich denke an Wolin. Schade, dass ich nur so wenig von der Stadt und der Umgebung sehen konnte. Doch schon am Abend schwärmte ich meinem Seemann am Telefon vor, wie gerne ich hier noch einmal herkommen möchte, dann aber mit ihm und seiner Blue Lady. Ich will unbedingt das Wikingerdorf anschauen und wissen, was hinter der Brücke kommt. Ich mag ja die Häfen, die zwar auf der Boddenseite liegen, dennoch aber der Ostsee ganz nah sind. Der Yachthafen in Dziwnow wäre solch ein Ort. Von da aus käme man dann auch über die Küste zurück nach Swinemünde. Eine schöne runde Motorboottour wäre das für die Blue Lady. Und da gelange ich auch schon an einen wunden Punkt, den ich dort eigentlich nicht vermutete und sich nun plötzlich zeigt. Ich liebe es geradezu Einhand unterwegs zu sein, bin wirklich sehr gern allein auf und mit meinem Boot. Doch sobald ich hier auf dieser Reise Land betrete, fehlt mir augenblicklich mein Seemann. Wie gerne würde ich mit ihm das Neue zusammen entdecken. Doch bevor wir beide gemeinsam wirklich größere Bootsreisen umsetzen können, werden noch Jahre ins Land gehen. Er hat nun mal nicht die selbe freie Zeit und Flexibilität wie ich zur Verfügung. Ich hingegen bin wirklich sehr ungebunden. 
Seglerisch habe ich noch einiges vor mir. Nächstes Jahr möchte ich erneut im Frühjahr Einhand starten, diesmal mit einer größeren Boddentour bis zum Saaler Bodden und zurück. Im Sommer folgen Rund Usedom und Rund Rügen, die polnische Küste, ja und vielleicht auch die erste Überfahrt nach Schweden, denn dort liegt ein weiteres Reiseziel vor mir, dass ich mir schon einige Zeit wünsche. Ich möchte noch einmal Schweden durch den Göta Kanal queren, diesmal jedoch nicht so gehetzt und getrieben, wie damals auf der 2nd try pirate, einer Bavaria Lagoon 390 mit meinem damaligen Skipper. Für mich hat Segeln mit sehr viel Zeit zu tun, sich Zeit nehmen und Zeit lassen, fürs Wetter und den Wind, für die Gegend und die Gewässer, die Natur und natürlich mich selbst. Ich möchte das Land spüren, in dem ich bin und nicht nur davon wissen. Doch wie wird es mir gehen, ohne meinem Seemann, mit dem ich doch viel lieber solche Erlebnisse teilen möchte?

Zieleinlauf - in der Mündung nach Wapnica

Nach der betonnten Ausfahrt will ich den Kurs auf NW ändern. Zuvor geht’s noch mal in den Wind, das 1 Reff lösen. Ich will das Tuch oben haben, bevor es mit seitlich achterlichen Wind weiter geht. Auf der Seekarte sieht es viel entspannter aus, als in der Realität auf dem Haff. Wenn man sich nicht an die betonnten Fahrrinnen halten möchte, ist Obacht gegeben, denn auf jeder Abkürzung droht sich ein Reusenfeld in den Weg zu stellen. Bald habe ich auch darin Routine. In der Mündung nach Wapnica ist die Fahrrinne nur so von diesen Reusen bestückt. Viel Zeit habe ich nicht mehr. Recht zügig und früher als erwartet sehe ich die Einfahrt der Marina, berge die Segel und motore in den schmalen Kanal. Ob ich hier je wieder herauskomme? Und wieder bin ich offenbar der einzige Gast. Der ganze Betonanleger ist frei und ich kann mir tatsächlich aussuchen, wo ich liegen möchte. Schön in die Nähe der Stromsäule, versteht sich!


Im Hafenbüro erfahre ich dann, dass ich offenbar zahlungsunfähig bin. Mit meiner Karte kann der Hafenmeister nix anfangen und in Wolin hab ich meine wenigen Zloty fast aufgebraucht, die nun nicht reichen werden. Wollte ich dort nicht am Bankomat für Wapnica neue besorgen? Vergessen...! Euro nimmt er auch nicht. Die habe ich zur Genüge dabei. Also heißt es auf geht’s ins Dorf, dort könne ich die polnische Währung erwerben und lande nach langem Suchen in einem kleinen Dorfkonsum, den ich liebevoll Schnapsladen taufe. Mit den einheimischen Frauen und einem Mann stehe ich in der Schlange die drohte aus dem Raum zu ufern. Das lag aber nicht an den vielen Menschen - wir waren nur zu fünft - sondern an der Größe des Ladens. Und hier könne ich auch 1:4 Zloty tauschen und reiche der freundlichen Verkäuferin meinen 10 Euro Schein. Na bitte!
Mir schien der Hafenmeister ungläubig, als ich erfolgreich in sein Office zurückkehrte und gab mir 3 Zloty zurück. Sicherlich, bei einer solchen frisch renovierten Marina könne man einen anderen Standard erwarten. Doch gerade diese Ursprünglichkeit reizt mich ungemein. Ich bin in Polen und die Währung hier ist nun mal die polnische. Wieso glaube ich, hier mit Euros einfach so weiter zu kommen? Damals, als der Euro eingeführt wurde, hieß es, dass vieles einfacher werden würde, unter anderem fiele nun die Tauscherei an den Grenzen in den Wechselstuben weg. Ich fand das so schade, denn ich wollte ganz unbedingt das Gefühl erhalten, ein fremdes Land zu betreten und damit auch mit dessen Währung zu zahlen. Ich wollte die Wechselstuben und im Supermarkt vorm Obststand umrechnen, die fremden Münzen und deren Reliefs in den Händen fühlen und die Scheine anschauen, als ob sie bunte Kaugummibildchen wären. Ja, ich wollte die Unterschiede spüren und nicht einen europäischen Standard, der mich ohnehin an den deutschen erinnert. Ich verlasse doch nicht mein Land, um in einem anderen annähernd das Gleiche vorzufinden. Das langweilt mich nur. Und so wird mein Supermarkterlebnis in Wapnica zu dem interessantesten meiner Reise. Mein Schnapsladen war nicht einfach nur ein Minimarkt. Er scheint in diesem Ort eine Institution. Die Verkäuferin kümmerte sich nicht nur um den Verkauf von Bier und Kaffee, hier wurden auch Telefonate für den Kunden geführt, die Neuigkeiten ausgetauscht und nicht zu vergessen Euros, der sich hierher verirrenden Touristen, gewechselt. Ich vermute sogar, sie hätte mir auch meine Wäsche gewaschen, wäre es notwendig gewesen. Für wenige Minuten wurde ich zu einer von ihnen, die in der Schlange stand und irgendwas wollte. Deutsch oder Englisch sprach hier niemand. Und damit ich mein Anliegen überhaupt verständlich machen konnte, halfen die Insassen der Schlange beim Übersetzen gleich mit.
Ich erkannte, was mir entgangen wäre, hätte die moderne Marina ein Kreditkartenlesegerät gehabt...

Hafengebäude mit großen Fensterfronten und Rundumsicht

im schmale Stichkanal wurde in neue Anleger investiert

das Gelände wirkt gut gesichert - hoher Zaun und viele Kameras...

Bevor ich mich auf einen weiteren Weg mache, die Umgebung zu erkunden, fühle ich mich gezwungen, meine AKUA zu säubern. Sie sah doch ganz schön mitgenommen aus oder einfach gesagt, mich störte der Möwenshit im Cockpit und an Deck schon sehr. Dann suchte ich den Strand auf, den ich für mich ganz alleine hatte und mich an unsere kleinen Haffstrände erinnerte. Im Grunde hätte ich auch in Vogelsang oder Bellin stehen können. Wie sehr die Natur keine Staatsgrenzen kennt, wird mir hier sehr deutlich. Fischreiher, Kormorane, Möwen, Enten - alles vertraute Zeitgenossen bis hin zu den Bäumen und Pflanzen. 


Über einen Schleichweg komme ich auf ein für mich dubioses Ruinengelände. Es hatte etwas mystisches an sich und ruhte in bester Lage direkt am Haffausläufer. Und je tiefer ich in das Gelände vordrang, desto vermüllter wurde es. Mir war nicht klar, was hier so stattfand, bis ich einen Zaun mit einer Öffnung erspähte. Dahinter muss der Fischereihafen liegen, den ich zuvor auf der Karte ausmachte.

eingewachsenes Ruinengelände direkt am Wasser


Plötzlich ertönten Schüsse. Ich konnte nicht orten, woher sie kamen und dachte als erstes an Jäger. Ich muss raus aus dem Waldstreifen, um nicht noch vor die Flinte zu geraten und mit einem leckeren Rehbraten verwechselt zu werden. Natürlich kurvten noch andere viel furchteinflössendere Phantasien in meinem Hirn herum. Ich schlüpfte durch die Öffnung des Zaunes und stand auf einem imposanten aber tüchtig heruntergekommenen Fischereigelände. Sogleich entdeckte ich auch zwei junge Burschen, von denen die Schüsse ausgingen. Der größere von beiden hob seine Hand in die Luft und ballerte erneut drauf los. Ich vermutete eine Schreckschusspistole und mir wurde noch unwohler. Eine Frau ganz allein auf diesem dunklen Gelände... Was mache ich eigentlich hier? Letztlich tat ich so, als ob es das normalste der Welt wäre, hier aus dem Wald zu kommen und das Fischereigelände zu besuchen. Fotos traute ich mir jedoch nicht zu machen, und das fiel mir besonders schwer, denn die Gebäude um das Hafenbecken, die einfachen Boote, das gesamte Ambiente boten eine hervorragende Kulisse für tolle abgefahrene Aufnahmen. (Hier ein Link zu einer Seite, die den Fischereihafen zeigt und beschreibt und ebenso knappe Worte zu dem Gelände mit der Ruine findet.)


Endlich hatte ich die Kerle aus meinem Blickfeld hinter mir gelassen und sah zu, dass ich zur Straße gelangte, die Wapnica mit Lubin miteinander verbindet. Ich spazierte ein bissen in den Ort Lubin hinein. Mich überraschte der krasse Kontrast zwischen komplett neu gebauten Villen und Häusern, meist mit schönem Blick zum Wasser und den Grundstücken der scheinbar Alteingesessenen, die deutlich einfacher und abgewohnter daherkamen. Blechdächer waren hier nicht selten, selbst bei den neueren Anwesen. Spannend und vollkommen unwirklich ragte zwischen den unterschiedlichen Häusern eine imposante Bauruine hervor. Sie war vor allem groß und unvollendet, schien noch im Sozialismus,  mit dem was gerade da war, gebaut und von der Wende überrascht worden zu sein.


Dieser Ausflug vermischte sich mit vielen unterschiedlichen Eindrücken und Gefühlen. Ich wurde stark an die DDR-Zeit erinnert und entwickelte Heimweh nach einer Heimat, die es nicht mehr gibt, der Weg dahin zurück unwiderruflich und rasant verschüttet. Hier in dieser Gegend schien die Zeit stehen geblieben und parallel dazu krass gerannt zu sein. Erschöpft falle ich mit der Dunkelheit in meine Koje. Ich träume von Partisanen, dem Panzerkreuzer Aurora, Pioniernachmittagen und der kleinen Coca-Cola Flasche, die ich von einer Klassenfahrt nach Polen mitbrachte und jahrelang in meinem Jugendzimmer im Regal stand. Sie war so kostbar für mich, dass ich sie niemals öffnete und nur allein von der Vorstellung lebte, wie dieses Getränk wohl schmecken mochte. Im Laufe der Zeit und über die Wende hinaus ging sie einfach verloren. Mit der Schwämme von Coca Cola Flaschen in den Kaufhallen, die heute Supermärkte genannt werden, verlor sie still und leise ihre Bedeutung. Es erinnert mich an die Geschichten, die uns auf den Schulbänken über die Naivität der Indianer erzählt wurden. Wir wurden dazu erzogen über die angeblich armen Geschöpfe zu lachen und als primitiv abzuwerten, weil sie bereitwillig das sogenannte kostbare Gold gegen bunte, billige Glasperlen eintauschten... Bunte Glasperlen finden sich nicht in der Natur, während das Goldgestein haufenweise herumlag. Die Sicht der Indianer erfuhr ich erst viele Jahre später, als über mich gelacht wurde, dass bei mir eine Glasflasche mit dem braunen Getränk in der Vitrine stand, statt geschliffener Kristallgläser oder Hummel Porzellanfiguren.
Ob ich in dem schmalen Kanal drehen könne, frage ich den freundlichen und ausgesprochen gut gelaunten Hafenmeister. Nach dem er meine Bootsgröße erfuhr, winkte er ab. Von seinem Büro aus, bekomme ich eine hervorragende Sicht auf die Hafenanlage. Mein Boot wirkt winzig und der Stichkanal tatsächlich ausreichend breit.
Am nächsten Morgen drehe ich auf dem Teller und verlasse aufgewühlt und gleichsam erfüllt das kleine Wapnica mit seiner für mich so großen Bedeutung...

Auf Wiedersehen, Wapnica!


Fakten:

  • von Wolin nach Wapnica am 17.10.2019
  • Start: 8:25 Uhr, Ankunft: 11:52 Uhr (3h 27min)
  • 14,6sm (27,2km)
  • 3-4bft
  • Wind aus Süd
  • Wetter: morgens regnerisch und bewölkt, dann klart es auf und die Sonne zeigt sich
  • Liegegebühren inkl. Strom: 37 Zloty 

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