Das Klagelied der Bandit



Gegen Mittag des 19.Juli mache ich mich auf den Weg nach Flensburg. Vor mir liegen erneut knapp 1000 km. Seit Tagen kommuniziere ich mit dem Eigner einer Varianta 65, die für mich wie geschaffen scheint. Da ich auch die Ostsee besegeln möchte, benötige ich eine Seereling und eine Sprayhood, falls es doch mal dicke kommt. Vor allem muss die Besegelung aus dem Cockpit bedienbar sein. Bereits bei mäßiger Welle ist die Arbeit an Deck eine Akrobatennummer. Das muss nicht sein. Es wird sich ohnehin noch die ein oder andere Situation ergeben, wo ich zur Reparatur zusätzlich auf Deck muss. Das Boot in Flensburg verspricht noch einen alten Motor und für das leibliche Wohl eine Badeleiter.

Geplant ist eine gründliche Besichtigung das Bootes mit einem drauf folgenden Probesegeltörn. Am nächsten Tag soll die Vari gekrant, gereinigt und auf den Trailer verladen werden. Am Stettiner Haff organisierte ich bereits einen Liegeplatz bis zum Ende der Saison in der Lagunenstadt. So war der Plan und ich muss zugeben, ich war in heller Aufruhr, das Geld in der Tasche, fest im Glauben, das wird nun endlich meine Varianta werden...
Die Baunummer der Varianta: 3457
Unterwegs träume ich von meiner Bandit, die ich mir damals kaufen wollte und dieser Deal dann doch nicht zustande kam. Ich besaß noch ein einziges Foto von ihr. Und wieder blickte ich auf das Bild. Ein schönes Boot! Und die in Flensburg schaut ihr so verdammt ähnlich... Ich erstarre fast. Das gibt es doch nicht! Die Segelnummer beginnt mit den gleichen Zahlen: 345..., die letzte fehlte, da ich sie fürs Internet wegretuschierte. Die in Flensburg beginnt genauso und die letzte Zahl ist 7! Eins zu Zehn ist die Chance, dass ich meine Bandit wiedersehen und sogar segeln werde! Ich öffne den Laptop, um das Originalbild zu suchen. Die 7! Tatsächlich, mein Boot wird verkauft und ich habe nun erneut die Möglichkeit es für mich zu gewinnen.

Damals besichtigte ich die Varianta in einer Halle. Es war das einzige Boot neben all den Wohnwagen und der Eigner schien nicht glücklich über seine Verkaufsentscheidung. Der Rumpf glänzte wie neu, das Unterwasserschiff glatt wie ein Babypopo. Innen das typische Bild der 70er Jahre – kaum Gebrauchsspuren sichtbar. Eigentlich will er ja nicht verkaufen, aber seine Frau... Das ist nicht das erst mal, dass ich hörte, dass für Frauen das Boot zu klein wäre. So wirklich komfortabel ist sie nicht, die Varianta. Keine Stehhöhe, kein WC, kein brauchbarer Süßwassertank. Letztlich bleibt der Sprung ins kalte Wasser. Und ich liebe den...
Nun bin ich mir 100% sicher, dass die Entscheidung, 1000 km nach Flensburg zu fahren, tatsächlich die richtige ist. Ich kenne das Boot und es ist ein gutes Schiff...!

Zwei Tage später sitze ich erneut im Auto. Am Haken habe ich kein Boot und es geht auch nicht wie geplant zum Stettiner Haff. Es geht zurück ins Allgäu. Wortlos. Müde. Und enttäuscht! Am allermeisten wütend auf Bootsbesitzer, die ihr Boot weder kennen noch pfleglich damit umgehen. Und die potentielle Interessenten für dumm verkaufen wollen...

Fast 6 Jahre können reichen, um ein erstklassisches Boot in ein Trümmerhaufen zu verwandeln. Zwar wurde kräftig in eine neue Besegelung investiert – lazy bag und -jacks installiert und auch eine neue Furlex Rollreffanlage, doch dem Groß fehlten zwei Latten und es hing kläglich gerefft auf dem Baum. Laut Eigener segelt er ohnehin nur im ersten Reff. Dafür funzt die Genua. Doch damit hört das Loblied auch schon auf. Denn unter Deck werde ich mit einem unerträglichen Geruch konfrontiert. Die Polster sind schmutzig und vergammelt, wie eigentlich alles darin. Überall entdecke ich Stockflecken. Etwas stimmt nicht! Auch auf Deck und im Cockpit fallen mir immer mehr Baustellen auf. Als es zu regnen beginnt, verwandelt sich die Ex-Bandit in eine Tropfsteinhöhle. Die Fenster sind undicht, was die Flecken auf den Polstern und an der Bordwandverkleidung erklärt. Ein Blick in die Bilge verheißt nix Gutes. Der Eigner wusste nicht, dass hier die Einfassung des Tisches abgeschraubt werden muss. Eine dunkle Brühe kommt zum Vorschein und ein modriger Geruch. Fast 10 Liter Wasser pumpt er mit allerhand Zeugs darin, heraus. Er schimpft wie ein Rohrspatz auf die Konstrukteure der Varianta. Eine Bilge hat zugänglich zu sein. Ich denke nur, eine Bilge hat einfach nur trocken zu sein und wenn es in die Fenster reinregnet, dann auch in die Relingstützen und der Verschraubung des Heck- und Bugkorbes. Bei einem fast 40 Jahre alten Boot muss man einfach hinterher sein.

unter Deck: der Geruch deutet auf Wasser in der Bilge und Schimmel hin

Das schöne an der Varianta ist, dass sie aufgrund der hohen Verkaufszahl bis 1982 noch immer gut auf dem Gebrauchtmarkt vertreten ist. Dank der Klassenvereinigung gibt es ein sehr informatives Forum, wo wohl schon fast alle auftretenden Probleme erörtert und Lösungen vorgeschlagen wurden. Auch gibt es noch immer ein umfangreiches Ersatzteilangebot, Pläne zum Kiel und und und. An dieser Stelle endet mein Verständnis.

Das zweite Mal, dass ich die Bandit gehen lassen muss. Ich hätte das Boot erst einmal ins Allgäu bringen müssen, um es zu reparieren. Aber 1000 km hätte ich auch dem Trailer nicht ohne weiteres zugetraut. Und sie ans Haff zu bringen, um dort klar Schiff zu machen, dafür war ich nicht gerüstet und auch das Wetter mit angesagten Dauerregen ließ diese Überlegung scheitern. Noch einmal blicke ich zur Bandit. Ich klopfe ihr den Rumpf und danke ihr für das kurze Wiedersehen und den kleinen Ausflug auf ihr auf der Flensburger Förde. Dann höre ich, wie ich meine Kaufentscheidung erneut, nur diesmal um sechs Jahre später, zurücknehme und mich vom Eigner und vor allem meiner Bandit verabschiede.

Jetzt wo ich hier zu Hause sitze und diesen Artikel schreibe, ich zurück an die Bandit denke, dominiert nur ein einziges Gefühl:


Es war schön, sie zu segeln!

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