Weihnachten und Geburtstag zusammen
Wir schreiben den 25. November 2017. Es
ist Samstagmorgen und ich bin irre aufgeregt. Der Tag ist gekommen,
an dem ich endlich die Varianta besichtigen werde, die mir seit fast
drei Monaten nicht mehr aus dem Kopf geht. Seit knapp sieben Jahren
träume ich von diesem Bootstyp, habe etliche Verkaufsplattformen
gewälzt, so einige Kilometer auf mich genommen, um das ein oder andere Boot zu besichtigen. Kein anderes Segelboot faszinierte mich in Kombination mit original Sliptrailer und einem kleinen Kielschwerter darauf so sehr, wie
der Kajütkreuzer Varianta 65 aus den 70er Jahren.
Ein Bekannter begleitet mich Richtung Mainz. In Alsheim bei Guntersblum soll die Varianta im Winterlager
unter einer Plane stehen. Vor einigen Wochen wurde sie aus dem Wasser
gekrant. Eigentlich wollte ich schon an diesem Tag dabei sein, zum
einen, um zu sehen, wie sie noch aufgeriggt im Wasser liegt und
natürlich zum anderen, wie sie für den Transport vorbereitet wird.
Doch zu dem Zeitpunkt war ich mit meinem Umzug nach Ueckermünde
beschäftigt und hatte noch immer kein Auto. Die Varianta musste also ohne mich aus dem Wasser. Es bestand die Option, sie erst im Frühjahr besichtigen zu wollen, doch als ich erfuhr, dass sie mit den Polstern darin winterfest gemacht wurde, suchte mich ein ungutes Gefühl heim.
Krantermin ohne mich
Wir übernachten in Gunterblum in einem
Hotel. Ich konnte kaum schlafen. Ich weiß schon, wie solche
Besichtigungen ablaufen können: Du kommst zum Boot, schaust es an
und in wenigen Sekunden wird dir klar, die Bilder im Netz haben so
was von gelogen. Meist entspricht der Zustand einfach nicht den
Fotos. Sie sind nicht unbedingt geschönt, aber zeigen eben nicht
das, was nicht in Ordnung ist.
Die Verhüllung
Am nächsten Morgen gibt es noch
Frühstück vom Hotel. Pausenlos schaue ich auf die Uhr. Noch 25 min,
dann sehe ich sie und auch die Eigner, obschon ich nur ein Auge fürs
Boot haben werde. Das Navi verrät schnell, wohin wir müssen. Die
beiden Besitzer sind schon da. Besonders mit Elke habe ich über die Monate bereits ein
eher freundschaftlichen Kontakt. Die Telefonate waren umfangreich und
eine gewisse Sympathie lag in der Leitung.
Aber nicht lange quatschen. Die Plane
muss runter! So wirkt sie wie ein großes Geheimniss, oder wie ein
gigantisches Geschenk. Nur das Schleifenband fehlt hierzu noch. Ich
will, ich muss sie sehen und nicht nur das Unterwasserschiff, was
durch die Plane lukt und einen guten Eindruck zumachen scheint. Ein paar Rostausblühungen am
Kiel, nichts dramatisches. Ich helfe dabei, die Plane zu lösen.
Auspacken! Jetzt!
Die Enthüllung
Die Plane fällt! Dieser Moment
erinnert mich an die Enthüllung eines Denkmals, welches nun
feierlich begrüßt werden soll. Ich weiß noch nicht, ob ich bei dem Gedanke an ein Geschenk bleiben soll. Wird es eins werden oder doch eher ein
Reinfall... Als erstes nehme ich die blaue Scheuerleiste wahr.
Meistens sind diese bei einem alten Boot arg in Mitleidenschaft
gezogen. Diese hier sieht aus wie neu. Nur ein paar Abschürfungen,
ansonsten ist sie sauber verarbeitet. Der Blick wandert weiter nach
oben, zum Deck. Die Reling ist neu, Bug- und Heckkorb ohne
Dellen und nahezu symmetrisch. Der Rumpf glänzt. Nur die beiden
dunkelblauen Farbfelder unterbrechen die Harmonie. Sie waren mir von
Anbeginn ein Dorn im Auge. Ich hab immer noch keine Idee dazu...
Eine Leiter wird mir ans Boot gestellt.
Ich klettere an Deck. Hier relativiert sich schon der Glaube an ein
perfektes Boot. Die Holzteile, wie Handlauf und Schienen für die Luke sind nachträglich lackiert worden. Weiter nicht schlimm,
hätte derjenige sich etwas mehr vorgesehen und nicht gleich das
ganze Deck mit Bootslack bekleckert. Der Boden der Plicht ist mit
schwarzen Flecken und allerhand Laub übersät. Er knirscht beim
Betreten und die Abflüsse sind verstopft. Das könnte auf einen Rückstau hindeuten. In Gedanken gehe ich die Liste aller Schwachpunkte der Varianta durch.
Jetzt geht’s in die Kajüte. Die Luke
zum Niedergang klemmt und wirkt aufgequollen. Ich hätte ohnehin gern
eine aus Acryl. Sicherlich wird mir die ein oder andere bei e-bay
Kleinazeigen über den Weg laufen. Als erstes fliegt die Rückseite des Kompasses ab. Er hat schon lange keine Flüssigkeit mehr und diente wohl eher als Attrappe. In der Kajüte ist kaum Platz.
Allerhand Zubehör liegt darin, der Baum mit Besegelung, Ruderblatt
und Pinne, Spibäume, Segel usw. Ein Blick hinter die Gardinen –
ich sterbe! Wenn ich eins nicht wollte, dann eine Varianta mit Rissen
in der ABS-Verkleidung um die Fenster und in der Sitzschale. Die
ganze Innenschale ist gespickt damit.
Ein weiterer Blick in die Bilge
- ein erneuter kleiner Tod! Sie ist randvoll mit Wasser. So etwas
hab ich bei einer Varianta noch nie gesehen. Den Winter hätte sie
damit nicht überlebt. Bei Frost hätte das Wasser den Kajütboden nach
oben gedrückt und wer weiß was alles zerstört. Auch die Polster zeigen wie bereits vermutet erste Spuren von Schimmel. An der Maststütze sehe ich, wie kurz über
dem Kajütdach ein Kabel abgeschnitten ist, das selbe an der
Maststütze direkt. Die Stromversorgung zum Mast wurde gekappt, warum auch immer...
Auch diese wird nicht mehr funktionieren. Dafür ist das original
Schaltpanel vorhanden.
abgeschnittene Elektrokabel und Risse in der Verkleidung |
Ich war den Tränen nahe und rang mit mir. Mein Bekannter quatschte auf mich ein. Draußen standen abwartend die Eigner und ich? Ich wusste das an Deck so ziemlich alles was dort befestigt ist, undicht sein wird, einschließlich aller Fenster. Ohnehin hätte ich bei jeder Varianta alles neu abgedichtet, bis auf die Fenster... Kein Ausschlusskriterium also. Über die Elektrik wusste ich Bescheid. Darüber bin ich am allerwenigsten überrascht. Und die Risse? Ich wollte eine saubere Innenschale, ohne Narben. Unverzüglich denke ich an meinen Roman. Ist Eric weniger liebenswert, weil er so viele Narben hat? Die Risse dieser Varianta beeinträchtigen nicht die Funktion. Reine Schöhnheitsmacken... Und doch sagt es etwas über ihren Charakter aus und ihre Herkunft. Ich erhebe mich und schaue aus der Varianta hinaus in den Himmel - es regnet nun doch. Ich klettere an Deck, wortlos, gehe zum Ankerkasten und prüfe, ob dort das Deck über die Jahre weich geworden ist. Nichts gibt nach. Die Lady hat 43 Winter auf den Buckel und außer ein paar Undichtigkeiten und hier und da unschöne Schrammen, Kleckse, Risse, scheint die Substanz ganz in Ordnung zu sein. Schön ist sie nicht, aber sie könnte wieder schön werden?
Zurück im Cockpit hocke ich mich auf
eine der Backskisten und stellte mir vor, ich würde dieses Boot
segeln. Viel Zeit habe ich dafür nicht, denn es laufen mehrere Gespräche gleichzeitig. Jeder hat was zu sagen, nur ich möchte gerade nicht reden, zumindest nicht mit den Anwesenden. Ich bin auf der Suche. Auf der Suche nach einem Gefühl... zum Boot. Ich lausche. Nichts! Die Anwärterin auf das Privileg die Akua zu werden, schweigt erbarmungslos. Dann kletterte ich wieder die Leiter von Bord hinunter auf
den Boden der Tatsachen. Im Kastenwagen der Eigner wartet noch
weiteres Zubehör: zwei Motoren, weitere Segel, ein Karton mit
Leinen, eine maßgeschneiderte Winterpersenning, Spiritusherd und noch eine Kiste mit allerhand Kleinkram...
Ich brauche nur wenige Blicke hierfür. Auf eine Preisverhandlung
verzichtete ich ebenso. Verliebe dich nicht vor einer Verhandlung in
das Objekt der Begierde! - Erinnere ich mich noch an meine eigenen
Worte. Meine Kaufentscheidung fiel bereits oben in der Plicht:
Das Geständnis
Der Entschluss steht fest! |
Dieses Boot wird die Akua werden! Ich verliebte mich schon vor Monaten in sie. Was auch immer der ausschlaggebende Grund gewesen sein möge... Ich bin mir plötzlich sicher, mit ihr werde ich zusammenwachsen, auf ihr werde ich segeln lernen! Endlich! Vielleicht weil sie sich mir ungeschönt zeigte? Vielleicht weil sie nichts sagen musste und mir nur das Gefühl gab, friss oder stirb! Wenn ich mich verliebe, weiß ich nicht was kommt. Das Herz führt mich. Was weiß schon mein Hirn...
Noch habe ich keine vernünftige Bleibe
für die Akua und lasse sie zunächst in der Nähe von Greifswald,
ca. 70 km von Ueckermünde zurück, wo mir auch ein günstiger
Liegeplatz für die Saison angeboten wird, was an sich erst einmal
vernünftig klingen mag. Doch es fühlt sich ganz anders für mich
an, in jedem Falle zu weit weg. Ich will sie bei mir haben, jederzeit
bei ihr sein. Nun hilft nur ein Wunder, denn in Ueckermünde bin ich
erst seit kurzem und kenne dort außer meinen Stuttgarter Freunden, die erst vor einem Jahr nach Altwarp zogen, niemanden hier. Kaum ließ ich mir Zeit daran etwas zu
ändern, so groß war die Sehnsucht nach einem, nach diesem Boot.
Doch will ich mir diesen Traum vom eigenen Boot wirklich ganz alleine
erfüllen? Ich spüre, wie in mir der Wunsch lauter wird, ihn teilen
zu wollen...
Die Akua noch unter dem Namen Fine hier bei Greifswald - die Sonnenstrahlen täuschen! Der Winterkälte hält bereits Einzug... |
„Wenn du etwas ganz fest willst, dann
wird das Universum darauf hinwirken, dass du es erreichen kannst“
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